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Die «Gesundheitslupe»: multisektorale Gesundheitspolitik in der Praxis

Edition No. 83
Nov. 2010
Health impact assessments

Internationales. Die in Südaustralien eingesetzte «Gesundheitslupe» ist ein gutes Beispiel dafür, wie eine multisektorale Gesundheitspolitik fassbar werden kann.

Die Regierung des australischen Gliedstaates Südaustralien setzt seit 2007 auf eine multisektorale Gesundheitspolitik. Entscheidend ist dabei, dass diese Gesundheitspolitik nicht isoliert im Raum steht, sondern integrierter Bestandteil des so genannten strategischen Plans ist (South Australia’s Strategic Plan). Mit seinen sechs untereinander verbundenen Zielen – wachsender Wohlstand, verbesserte Lebensqualität, Nachhaltigkeit, mehr Kreativität und Innovation, an Gemeinschaften bauen, sich bietende Möglichkeiten ausschöpfen – stellt der Plan eine Art Messlatte für die Regierung dar, an der sie ihre Politik langfristig (bis 2014) ausrichtet. Diesen sechs Oberzielen sind 98 Teilziele zugeordnet, die die Zusammenarbeit verschiedener Departemente erfordert. Kein Ziel soll ausschliesslich auf Kosten eines anderen Ziels erreicht werden. Zum Vergleich: Der Bundesrat richtet in diesem Jahr seine Regierungsaktivitäten auf 17 Oberziele und 82 Teilziele aus.

Aufdecken und Nutzen von Zusammenhängen
Die Gesundheitslupe wurde auf Initiative der bekannten Public Health-Expertin Ilona Kickbusch und mit Unterstützung des südaustralischen Regierungschefs eingeführt. Mit dem Einsatz der Ge­sundheitslupe möchte die Gesundheitsbehörde herausfinden, welche Wechselwirkungen zwischen den strategischen Zielen einerseits und der Gesundheit und dem Wohlbefinden der Bevölkerung andererseits bestehen. Die zwei zentralen Fragen lauten deshalb: Was können gesundheitsferne Verwaltungseinheiten wie das Wirtschaftsdepartement zur Gesundheit der Bevölkerung beitragen? Und umgekehrt: Was kann das Gesundheitsdepartement zur Erreichung der strategischen Ziele des Wirtschaftsdepartements leisten?
Die unten stehende Tabelle «Multisektorales Denken ganz konkret» zeigt das Ergebnis einer solchen Analyse (health lens-analysis) für den Teilbereich Wirtschaftswachstum des südaustralischen strategischen Plans.
Auch für die schweizerische Regierung wäre der Einsatz der Gesundheitslupe vorstellbar. So könnten in einem ersten Schritt die auf vier Jahre angelegten Legislaturziele des Bundesrates auf ihre Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung analysiert werden. In einem späteren Schritt sollte dann auch die Formulierung der Legislaturziele in einem multisektoralen Verfahren (d. h. mit Blick auf die Bedürfnisse der jeweils anderen Departemente) erfolgen.

Ein Prozess in fünf Schritten
Die Gesundheitslupen-Analyse besteht im Wesentlichen aus fünf Schritten.
– «Engage»: Aufbau und Pflege von starken partnerschaftlichen Beziehungen mit dem jeweiligen politischen Sektor und die Festlegung eines gemeinsamen Fokus.
– «Collect evidence»:  Ermitteln der Wechselwirkungen zwischen der jeweiligen Politik und der Gesundheit.
– «Produce»: Erstellen eines Schlussberichts mit Policy-Empfehlungen, die von allen beteiligten Akteuren geteilt werden.
– «Navigate»: Unterstützung beim Durchbringen der Empfehlungen im Entscheidungsprozess.
– «Evaluate»: Prüfen der Wirksamkeit der Gesundheitslupe.

Die Methoden der Gesundheitslupen-Analyse sind mit einer klassischen Gesundheitsfolgenabschätzung zu vergleichen. Sie ist jedoch so angelegt, dass sie im Idealfall die Ausarbeitung politischer Vorstösse oder Massnahmen bereits in der Konzeptphase mitprägt und nicht erst in der Entscheidfindungsphase zum Zug kommt. Die Gesundheitslupen-Analyse folgt denn auch weniger einer rigiden Methodik, sondern lässt sich an ganz unterschiedliche Gegebenheiten anpassen.

Beispiel: alternative Wasserversorgung
Die erste Gesundheitslupen-Analyse wurde 2008 im Bereich Wasserversorgung durchgeführt. Mit Blick auf das strategische Ziel der Nachhaltigkeit ging es darum, die Wasserversorgung bis 2018 über nachhaltige, alternative Quellen sicherzustellen, insbesondere über die vermehrte Nutzung von Sturmwasser, Grauwasser (Abwässer aus dem Dusch- und Badebereich) und Regenwasser. Mittels eines gemeinsamen Projekts der südaustralischen Gesundheitsbehörde und des Amts für Wassersicherheit sollte ermittelt werden, welche Einflüsse eine solche Wasserversorgung auf das physische, psychische und soziale Wohlbefinden der Bevölkerung hat. Ziel war es, eine für beide Seiten gewinnbringende Lösung für eine komplexe Herausforderung zu erarbeiten. Dabei kamen nicht nur offensichtliche Zusammenhänge zwischen Wasserqualität und der körperlichen Gesundheit zum Tragen. In der Analyse wurde beispielsweise auch die Wichtigkeit von Grünflächen und des entsprechenden Wasserbedarfs für das individuelle und gesellschaftliche Wohl berücksichtigt

Südaustralien: Multisektorales Denken ganz konkret

Strategisches Ziel «Wachsender Wohlstand» Teilziel Wirtschaftswachstum: Südaustralien übertrifft das nationale Wirtschaftswachstum bis 2014. Einsatz der Gesundheitslupe (health lens-analysis): Wie beeinflusst die Wirtschaft die Gesundheit und umgekehrt?
Gesunde Menschen sind produktiver. Depressionsbedingte Abwesenheit vom Arbeitsplatz verursacht in Australien rund 6 Mio. verlorene Arbeitstage pro Jahr sowie von den Arbeitgebern zu zahlende Kosten von 1.2 Mia. $
Eine starke Wirtschaft beeinflusst den Gesundheits­zustand der Menschen positiv. Hohe Beschäftigungsraten erbringen soziale und wirtschaftliche Dividenden. Beschäftigung verringert die Gefahr der sozialen Isolation und stärkt das Selbstvertrauen.
Ein schlechter Gesundheitszustand ist kostspielig für die Gemeinschaft. Ein schlechter Gesundheitszustand führt zu verminderter Produktivität und zu einer stärkeren Beanspruchung der Sozialversicherungssysteme. Die vom Staat zu bezahlenden Gesundheitskosten werden wegen der finanziellen Krise, der demografischen Alterung, der Zunahme chronischer Krankheiten sowie der Innovationskosten weiter zunehmen.
Das Gesundheitssystem als wichtige Wirtschaftsbranche muss weiter wachsen können. Das öffentliche Gesundheitswesen ist der zweitwichtigste Arbeitgeber in Südaustra­lien und die Nachfrage nach Gesundheitsdienstleistungen wird steigen. Der zu erwartende Mangel an Gesundheitspersonal wird sich negativ auf das Angebot an medizinischer Pflege auswirken. Er sollte aber nicht das wirtschaftliche Wachstum behindern.

Contact

Wally Achtermann, Abteilung Multisektorale Projekte, wally.achtermann@bag.admin.ch

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